MWC23 Trendbericht: Barcelona zeigt sich in voller Größe

Der Mobile World Congress kehrte 2023 mit einem starken Auftritt in den gewohnten Austragungszeitraum Ende Februar zurück. Zum ersten Mal seit 2019 fand die Veranstaltung ohne Covid-bedingte Einschränkungen statt. Die Atmosphäre war großartig und viele Marken präsentierten sich mit voller Kraft und beeindruckenden Ständen. Der MWC ist traditionell jedes Jahr einer der wichtigsten Termine in der Telco-Branche, und das war er auch 2023. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Beobachtungen, die unser Team von der Veranstaltung mitgenommen hat, zusammen.

In diesem Jahr besuchten über 88.000 Brancheninsider aus über 200 verschiedenen Ländern zu der viertägigen Veranstaltung. Der MWC bewies einmal mehr, dass er zu den wichtigsten internationalen Branchenereignissen zählt – renommierte Telco-Marken wie die Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica oder Orange zeigten eine starke Präsenz auf der Veranstaltung.

Im folgenden Blogbeitrag wollen wir die Trends des diesjährigen MWC untersuchen.

Vermarktung von 5G mit innovativen OTT-Diensten und APIs

Obwohl es sich dabei um keinen neuen Trend handelt, versuchten die Telcos auf dem MWC gleichermaßen folgende Fragestellung zu beantworten: Wie können mit den vorhandenen 5G-Netzen die großen vorangegangenen Investitionen wieder hereigeholt werden? Der Schlüssel dazu bekam in Barcelona einen Namen und zwar „5G Acceleration“. Da immer mehr 5G-Geräte in das Ökosystem gelangen und die Netzwerkkapazitäten zunehmen, bleibt die Frage, wie Telcos sich durch 5G als echte Innovatoren und nicht nur als bloße Instandhalter der Infrastruktur positionieren können. Sie müssen den Sprung von der Bereitstellung der „Schienen“ zum effektiven Aufbau einer Serviceumgebung schaffen, um jeden Verkauf innerhalb des „Zuges“ zu erleichtern.

Ein möglicher Lösungsansatz wurde von Orange, Telefónica und Vodafone präsentiert, die ein Konzept vorstellten, das auf der Öffnung der 5G-Netze für Anwendungsentwickler beruht. So können Innovationen gemeinsam vorangetrieben werden. Das Projekt zielt darauf ab, fortschrittliche Netzwerkfunktionen über APIs zur Verfügung zu stellen, z. B. Benutzerauthentifizierung, Geräteinformationen oder Leistungen rund um die Servicequalität ("Quality of Service"). Auf diese Weise können App-Entwickler leistungsstarke Funktionen integrieren und für die Betreiber entsteht eine zusätzliche Möglichkeit zur Umsatzgenerierung.

Wenn es den Telcos gelingt, Partnernetzwerke aufzubauen, die es Anbietern ermöglichen OTT-Dienste z. B. in einem B2C- oder B2BC-Szenario bereitzustellen, werden wir die Auswirkungen auf Telco-Retailer schon bald sehen. Für den Verbraucher könnte dies zu einer längeren Lebensdauer der Geräte und einer größeren Vielfalt an verfügbaren Services führen – von Unterhaltungsangeboten bis hin zur Verwaltung digitaler Identitäten. 

MWC 2023 fair

Standardisierung für offene und intelligente Netze

Dies führt uns zu einem weiteren Thema, das direkt mit 5G und der Vorbereitung der Netze auf die Bereitstellung vielfältigerer Dienste zusammenhängt: der Trend zur Standardisierung. Mit Initiativen wie dem CAMARA-Projekt[1] oder dem TM Forum Open Digital Architecture (ODA)[2] gibt es in der Branche einen starken Druck, gemeinsame Standards zu schaffen. Solche Standards sollen die Kompatibilität zwischen den am OSS- und BSS-Stack beteiligten Systemen erleichtern und es den Betreibern ermöglichen, Systemkomponenten bei Bedarf leichter auszutauschen. Dies bedeutet, dass kundenspezifische Funktionen zugunsten der Einführung von Standardprozessen und gemeinsamen Datenmodellen abgelöst werden müssen. Die Software-Architektur muss sich dem Wandel anpassen, indem auf stärker segmentierte Ansätze und ein service-basiertes Paradigma gesetzt wird. 

Da die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften in der Informationsökonomie steigt, wächst der Druck, so viel wie möglich zu automatisieren. Standardisierung und Modularität sind unabdingbare Voraussetzungen, um eine weitreichende Automatisierung zu ermöglichen. Im Einklang mit dem Modell der Standardisierung steht der Trend zur Öffnung des Netzes für herstellerunabhängige Hardware- und Softwarekomponenten. Die Vision ist, ein offenes Ökosystem für effizientere, intelligente Netze zu schaffen. Beim MWC wurde dieses Thema von JIO gehostet, Indiens stark innovationsgetriebenen Telcoriesen.[3]

Wie wird sich dies auf den Einzelhandelbereich der Telco-Unternehmen auswirken? Werden Telcos vielleicht zu einem reinen Abonnement-Modell übergehen, bei dem das Gerät an sich an Bedeuetung verliert und die Vermögenswerte zunehmend virtuell werden? Oder wird sich der Einzelhandel in einen D2C-Bereich verwandeln, in dem die Hersteller Netzdienste nutzen, um ihre Produkte direkt den Verbrauchern anzubieten? Es wird sicher interessant sein, dies zu beobachten. Wir gehen dennoch davon aus, dass die meisten dieser Innovationen zuerst in jungen, starken Schwellenländern wie Indien auftauchen werden, bevor sie auf dem europäischen Markt etabliert werden.

MWC 2023 fair

Verschmelzung von digitaler und physischer Realität

Ein weiterer sehr interessanter Themenbereich auf dem diesjährigen MWC hieß „Reality+“. Veranstaltet von Deloitte und eingebettet in 4YFN – einen Side-Event des MWC, der sich vor allem mit Start-ups beschäftigt und einige sehr innovative Lösungen vorstellt – drehte sich dabei alles darum, wie interaktive Erlebnisse und Metaverse-Implementierungen neue Nutzererlebnisse schaffen können. Im Fokus vieler Demos standen Präsentationen von Robotern, VR/AR-Anwendungen und die Verschmelzung von virtuellen Assets mit der realen Welt. Darüber hinaus hatten KI-Anwendungen einen großen Auftritt: von der Nutzung synthetischer Daten zur Simulation komplexer Vorgänge über die Verwendung von Modellen für natürliche Sprache in der Kommunikation bis hin zu maschinellem Lernen zur Optimierung der Lieferkette.

Natürlich mag manches Konzept als Spielerei erscheinen, aber es gab viele Lösungen zu sehen, die schon bald Einzug in unseren Alltag halten könnten. Virtuelle Shoppingerlebnisse sind so eine Sache : Mit einem VR-Headset eine Einkaufstour in einer belebten, geschäftigen Metropole unternehmen oder auf der Madison Avenue bummeln, egal wo auf der Welt man sich selbst gerade befindet? Vielleicht wird das schon bald Realität.

Für KI-Anwendungen ist die Verwendung im Alltag bereits Realität. ChatGPT war in letzter Zeit in aller Munde und legte den Schwerpunkt auf natürliche Sprachmodelle. Aber es gibt noch so viel mehr, das mit KI gelöst und revolutioniert werden kann. Die stärkste Anziehungskraft wird von Technologien ausgehen, die einen Mehrwert für Kerngeschäftsprozesse bieten. Vorhersagemodelle mit maschinellem Lernen zur Optimierung der Lagerverwaltung und des Warennachschubs oder die Modellierung synthetischer Daten zur Anpassung von Angeboten sind nur zwei Anwendungen von KI, die unserer Meinung nach bald zu einem weit verbreiteten Standard werden.

Für den Telco-Einzelhandel sagen wir voraus, dass die Betreiber einen Weg einschlagen werden, der sich sehr stark auf den unternehmerischen Nutzen konzentriert. Während VR/AR vielleicht als Magnet genutzt wird, um die Massen anzuziehen – zum Beispiel mit speziellen Showcase-Events - wird der wahre Wert aus der Optimierung der Kerngeschäftsprozesse kommen. Bestandsprognosen und -optimierung, Angebotspersonalisierung, Serviceautomatisierung – all diese Prozesse stehen kurz davor, durch den Einsatz von KI für immer verändert zu werden.

Unsere Schlussfolgerung: Telco-Unternehmen sind mehr denn je bereit, auf offene Standards zu setzen

Wer nur eine Sache vom diesjährigen Mobile World Congress mitnehmen möchte, dann sollte dies der Impetus sein, darüber nachzudenken, wo im eigenenUnternehmen effektiv standardisiert werden könnte. Falls dieser Prozess nicht ohnehin bereits auf den Weg gebracht wurde. Es war überdeutlich, dass alle Unternehmen – von CSPs bis hin zu Cloud-Anbietern und Systemintegratoren – in Zukunft stark auf standardisierte Komponenten angewiesen sind. Wohin wird dies Telco-Retailer führen? Man darf gespannt sein, aber auf jeden Fall ist es an der Zeit, sich auf die Kernfunktionen zu konzentrieren und diese in eine hochfunktionale Standardimplementierung zu überführen.

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Stephan Berger

Geschrieben von Stephan Berger

Als Head of Marketing arbeitet Stephan vor allem an einem Ziel: Die Vision hinter den Produkten und die Konzepte der Experten bei NTS Retail in ein lebendiges Narrativ zu packen und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mit seiner Begeisterung für Technologie und das Schreiben, ist Stephan in seinem Element, wenn er seine Kollegen befragt und deren Expertise in Form bringt, um somit das geballte Wissen bei NTS Retail für Fachkollegen in aller Welt zugänglich zu machen.